Körtner: Der Mensch braucht eine intakte Gottesbeziehung

Sehr interessantes Interview mit Prof. Körtner über die Leitsätze der EKD zur Zukunft der Kirche im PRO Medienmagazin.

Körtner kritisiert die theologische Leere dieser Leitsätze. In den Leitsätzen wird entweder von Gott allgemein gesprochen oder von Jesus Christus als Vorbild für die Menschen. Die Kernanliegen des Evangeliums – Sünde, Vergebung, Erlösung – kommen für ihn zu kurz. Er hat die sorge, dass die Kirche sich gar nicht mehr bewusst ist, was ihre Kern-Message ist und sein soll.

Vielmehr muss man sich fragen, warum diese Kirche sich so entwickelt hat, wenn solche Papiere offensichtlich für den Mainstream als konsensfähig gelten können. Wenn das tatsächlich so ist, mache ich mir ernsthafte Sorgen um die Zukunft der Kirche. Die Kirche muss nach evangelischem Verständnis verkündigen, was Gott an dem Menschen tut. Und zwar nicht nur in der Vergangenheit, indem er Jesus auf die Welt geschickt hat, sondern hier und jetzt. Als gläubiger Christ glaube ich, dass mich Gott durch mein Leben führt. Das ist es doch auch, was ich erwarte, wenn ich einen Gottesdienst besuche: Nicht irgendwelche Moralpredigten, sondern dass ich erfahre, was Gott an uns tut.

Und auf die Frage, was das Zentrum des Glaubens denn sein, antwortet er:

Das Zentrum ist, dass der Mensch eine intakte Gottesbeziehung braucht – auch wenn das hausbacken klingen mag. Wenn die Kirche nicht mehr plausibel machen kann, was mit Sünde gemeint ist und warum der Mensch überhaupt Vergebung und Erlösung braucht, dann brauche ich auch keine Kirche.

Ich habe mich bisher nicht intensiv mit Körtner und seinen theologischen Positionen beschäftigt. Nur in einem Hermeneutik-Seminar an der FTH habe ich einen längeren Abschnitt aus einem seiner Bücher intensiver studiert.

Zunächst klingt es ja gut, was Körtner hier schreibt. Ja fast schon altmodisch – hausbacken -, wie er selbst zugibt. Eine Kirche, die nicht mehr erklären kann, wofür sie im Grunde steht und was sie einzigartig macht, hat ihr Ziel verfehlt.

Zwischendurch finden wir bei Körtner aber auch selbstkritische Ansätze:

Auch ich muss mich fragen, was ich selber – ob im Hörsaal oder auf der Kanzel – dazu beigetragen habe, dass ein solches Papier entstehen konnte. 

Da möchte ich gerne ansetzen. Ich hatte schon geschrieben, dass ich Körtner nicht wirklich eingehend kenne. Aber das, was ich damals gelesen habe, klang doch sehr nach existentialistischer Theologie in der Tradition von Bultmann. Körtner ist passenderweise Mitbegründer der „Rudolf Bultmann Gesellschaft“ für hermeneutische Theologie.

Ich habe im Internet die digitale Kopie des Buches „Der inspirierte Leser“ von Körtner gefunden. Zugegeben: Das Buch ist von 1994 und ich gestehe jedem zu, dass er sich in seinem Denken weiterentwickelt. Aber was ich dort auf die Schnelle nachlesen konnte, bestätigt meine Eindrücke von damals. Zwar bleibt Körtner nicht bei Bultmann stehen, aber doch entwickelt er dessen Grundanliegen in diesem Buch anhand neuerer Fragestellungen im Grunde nur weiter.

Wenn Körtner daher in einer Antwort folgendes ausspricht:

Verstehen wir eigentlich noch, was in der Bibel steht: Sünde, Vergebung, Erlösung, Versöhnung? Häufig werden dann Metaphern bemüht, etwa bei der Auferstehung: „Morgens stehen wir auch alle auf, und dann sind wir wieder ganz tapfer.“ Stattdessen geht es darum, sich um den Kern des Glaubens zu bemühen, ihn zu pflegen und sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. 

Dann möchte ich zurückfragen: Was verstehen Sie darunter, Herr Körtner? Geht ihr Verständnis dieser Begriffe über eine rein existentialistische Sicht hinaus oder bleiben Sie am Ende doch bei einer innerweltlichen Erklärung stehen, egal wie nett man das am Ende umschreibt?

Ich gebe ehrlich zu: Ich kenne seine Theologie nicht gut genug, um eine Antwort in seinem Sinn wiedergeben zu können. Das ist meine ehrliche Anfrage an ihn.

Meine Sorge aber ist, dass Prof. Körtner mit seiner Selbstkritik ins Schwarze treffen könnte: Eine liberale und rein innerweltlich und faktisch anthropologisch denkende Theologie hat in der konsequenten Weiterentwicklung dieses Ansatzes zu der Sprachlosigkeit der Kirche geführt, die sich in diesen Leitsätzen niederschlägt.

Die Lösung kann also dann nicht darin bestehen, einfach einen Schritt zurückzugehen, weil dieses Endergebnis des eigenen Denkweges einem zu radikal ist – nach dem Motto: Ich habe zwar diesen Stein in diese Richtung geworfen, aber die kaputte Scheibe wollte ich doch nicht.

Die Lösung kann in meinen Augen nur darin bestehen, sich auf einen ganz anderen Denkweg einzulassen, der bei konsequentem Weiterdenken nicht in dieser Sackgasse endet – oder, um im Bild zu bleiben: Der Stein muss in eine andere Richtung geworfen werden, weil die Scheibe nun mal da steht wo sie steht und der Stein nicht einfach in der Luft stehenbleibt.

Quelle: https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/2020/10/01/der-mensch-braucht-eine-intakte-gottesbeziehung/


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